Zahlreiche deutsche Archive, darunter auch viele Landesarchive, haben in den letzten Jahren das Anfertigen von Reproduktionen durch Nutzerinnen und Nutzer im Lesesaal mittels Digital-/Smartphonekameras unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. Sie reagieren damit auf die technologische Entwicklung, den allgemeinen Trend im internationalen Archivwesen und zeigen sich als dienstleistungsorientierte und kundenfreundliche Institutionen. Um den Nutzerinnen und Nutzern diesen Service zu ermöglichen, müssen jedoch wichtige organisatorische Anpassungen vorgenommen werden:
Die Möglichkeit, Reproduktionen selbst durch Fotografieren anzufertigen, muss in der Nutzungsordnung eingeräumt und klar geregelt werden. Insbesondere die Ausnahmen von der Fotografiererlaubnis sind zu definieren. In der Musternutzungsordnung der Archivberatung schlagen wir folgende, auf der Nutzungsordnung des Hessischen Landesarchivs basierende, Formulierung vor:
„Nutzerinnen und Nutzer können im Nutzungsraum selbst unter Aufsicht Fotografien von Archivgut anfertigen. Ausgenommen sind:
1. Archivgut, das archivrechtlichen Schutzfristen unterliegt oder durch dessen Nutzung die schutzwürdigen Belange von Betroffenen und Dritten beeinträchtigt werden;
2. fremdes Archivgut, sofern die Eigentümerin oder der Eigentümer keine Fotografiererlaubnis erteilt hat;
3. Werke, die Einschränkungen nach dem Urheberrechtsgesetz und/oder dem Kunsturhebergesetz unterliegen (Fotografien, Postkarten, Werke der bildenden Kunst und Karten/Pläne);
4. Archivgut, bei dem durch die Anfertigung von Aufnahmen ein besonderes Schadensrisiko besteht.
Um zu verhindern, dass andere Nutzerinnen und Nutzer durch das Fotografieren gestört werden, darf nur geräuschlos und ohne Verwendung weiterer Hilfsmittel fotografiert werden. Um den Erhaltungszustand nicht zu gefährden, darf weder mit Blitzlicht fotografiert noch bei gebundenem Archivgut der Falz zusätzlich beschwert werden.“
Da sich die Nutzerin bzw. der Nutzer mit dem Nutzungsantrag zur Einhaltung der Nutzungsordnung verpflichtet, kann auf eine gesonderte Fotografiererlaubnis verzichtet werden, wenn die Nutzungsordnung eine entsprechende Regelung enthält.
Eine wichtige Einschränkung stellt Archivgut dar, das noch archivrechtlichen Schutzfristen unterliegt. Hier dürfen Reproduktionen nur nach Genehmigung eines Schutzfristverkürzungsantrags hergestellt werden. Diese Ausnahmegenehmigung muss durch das Archiv kontrollierbar bleiben, weshalb Reprografien hier nur durch das Archiv und den Auflagen des Schutzfristverkürzungsbescheids entsprechend angefertigt und ausgegeben werden dürfen.
Um zu garantieren, dass Archivgut, das nach den oben aufgeführten Bestimmungen nicht selbst fotografiert werden darf, auch nicht fotografiert wird, muss eine durchgehende Beaufsichtigung der Nutzerinnen und Nutzer im Nutzungsraum/Lesesaal gewährleistet sein. Möglich ist in größeren Lesesälen auch eine räumliche Trennung von Nutzerinnen und Nutzern, die Archivgut nutzen, das von der Fotografiererlaubnis ausgenommen ist (z. B. separater Tisch). Es sollte auch kontrolliert werden, dass Archivalien nicht unzulässig beschwert oder sogar durch das Fotografieren beschädigt werden. In Zweifelsfällen können Archivalien aufgrund ihrer Materialität (Pergament, Transparentpapier) oder ihres Erhaltungszustands für das selbstständige Fotografieren gesperrt werden.
Natürlich obliegt es weiterhin dem einzelnen Archiv, sich für oder gegen die Fotografiererlaubnis für Nutzerinnen und Nutzer zu entscheiden und auch weiterhin besteht die Möglichkeit, Reproduktionen kostenpflichtig durch das Archiv herstellen zu lassen. Vor- und Nachteile für Nutzerinnen und Nutzer und Archiv sowie die organisatorischen Möglichkeiten und Aufwände vor Ort sollten im Vorhinein sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Bei Fragen zur Einführung und Umsetzung beraten wir Sie gerne!